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Gedenkveranstaltung Stolpersteinverlegung in Tann

Zur Erinnerung an die Ermordung jüdischer Mitbürger und an die einstige kulturelle Vielfalt

Tann (Rhön)
13.02.2023

Zum Gedenken an die Tanner Opfer des Holocausts werden am 15. Februar in der Tanner Innenstadt Stolpersteine verlegt. Um einen Einblick in die jüdische Kultur zu gewähren, die in der Rhönstadt einst sehr lebendig war, laden der Kultur- und Geschichtsverein (KGV) und die Stadt Tann zudem um 18 Uhr zu einem „Abend gegen das Vergessen“ in die Rhönhalle ein.

KGV-Vorstandsmitglied Antje Dänner bietet auf Nachfrage Rundgänge zum jüdischen Leben an. Zu einer solchen virtuellen Tour via Leinwand wird sie an dem Abend die Gäste mitnehmen, wobei sie insbesondere auf das Schicksal der drei Familien eingeht, vor deren Häusern vormittags die ersten 16 Stolpersteine verlegt werden. Dr. Michael Imhof wird über die jüdische Gemeinde in der NS-Zeit referieren, während Zeitzeugen beitragen, wie sie als Kinder die Ausgrenzung, Erniedrigung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung miterlebt haben. Ein in den Niederlanden lebender Nachfahre der in Tann ansässigen Freudenthals wird aus seiner Familiengeschichte erzählen. Mit Klezmer und Balkanmusik umrahmt die Fuldaer Gruppe „Yerlos Vey“ die Gedenkfeier.

Über Augen und Ohren und auch geschmacklich soll jüdische Kultur erlebbar werden. Klaus Schuhmacher- ebenfalls KGV-Vorstandsmitglied - hat „Berches“ bestellt, das den Gästen zu Beginn der Veranstaltung gereicht wird. Dieses traditionelle jüdische Brot aus Weizenmehl, Wasser, Salz, Backmalz und einem Hauch Hefe wurde am Sabbat verzehrt. In der Tanner Nachbarstadt Geisa befindet sich die älteste Bäckerei Thüringens, die 1557 gegründete Bäckerei Faber. Deren Inhaber Uwe und Elisabeth Schneider verstehen sich auf die Herstellung des Brots, das in Geisa „Berges“ ausgesprochen und im ostjiddischen als „Challa“ oder „Challe“ bezeichnet wird. Berches leitet sich vom Hebräischen Berachot ab, was Segenssprüche bedeutet. „Wir haben Berges schon immer gebacken. Das war unser traditionelles Festtagsbrot an Weihnachten, Silvester und Ostern“, erklärt Elisabeth Schneider. Erst in den 90er-Jahren „stolperte“ die Bäckermeisterin über den Namen und stieß so im Internet und im Kasseler Brotmuseum auf den eigentlichen Ursprung.

Auch in Haunetal-Rhina, wo ebenfalls eine große jüdische Gemeinde beheimatet war, ist die Spezialität noch bekannt. Kurt Bolender berichtet, dass in Rhina sowohl jüdische als auch christliche Haushalte Berches zubereiteten, die dann gemeinsam in der jüdischen Bäckerei in den Ofen geschoben wurden. In Tann dagegen ist das Sabbatbrot in Vergessenheit geraten. „Es gab zahlreiche jüdische Viehhändler und Fleischer, aber an eine Bäckerei kann ich mich nicht erinnern“, sagt Altbürgermeister Dieter Herchenhan, einer der geladenen Zeitzeugen.

Dafür ist die Vermischung anderen Brauchtums dokumentiert. Antje Dänner, die sich seit acht Jahren intensiv mit der jüdischen Geschichte ihrer Heimatstadt befasst, zeigt aus ihrer Sammlung alter Fotos das Bild einer Faschingsveranstaltung aus dem Jahr 1926. Christliche und jüdische Einwohner feiern gemeinsam in Verkleidung, weil mit dem jüdischen Purimsfest und dem christlichen Karneval zwei ausgelassene Feste aus zwei Kulturkreisen zusammenfielen. „Sie waren unsere Nachbarn“, unterstreicht Dänner.

Seit 1991 erinnert ein Gedenkstein am Standort der ehemaligen Synagoge an die Vernichtung der jüdischen Gemeinde. Mit den Stolpersteinen möchten die Initiatoren zudem verdeutlichen, dass die 54 ermordeten Jüdinnen und Juden zur Tanner Gesellschaft gehört haben. Am Steinweg 20 (Kreuzung Ludwigstraße, gegenüber des ehemaligen NKD) werden am 15. Februar um zehn Uhr von Künstler Gunter Demnig die ersten Stolpersteine verlegt. Dazu ist die Öffentlichkeit ebenso eingeladen wie zu der abendlichen Feier. Finanziert werden die handgearbeiteten Steine über Spenden, die der KGV extra für diesen Zweck gesammelt hat.

„Berches“: So sieht der „Berches“ aus, der heutzutage auf Vorbestellung in der Geisaer Bäckerei Faber hergestellt wird. Zu kosten gibt es das jüdische Sabbatbrot zu Beginn des Gedenkabends am 15. Februar. Foto: Klaus Schuhmacher

Fasching 1926: Zwei Feste, ein Brauch: Christliche und jüdische Tannerinnen und Tanner feierten gemeinsam Purim und Fasching, wie dieses Foto von 1926 zeigt. Der hellgekleidete Mann in der Mitte direkt vor dem Reiter ist Leo Jüngster, für den einer der Stolpersteine verlegt wird. Foto: Sammlung Antje Dänner

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